Solawi Hall

Die Genossenschaft als Rechtsform

Vor uns stehen einige größere Veränderungen. Wie wir auf der Mitgliederversammlung im Juli dargestellt haben, braucht unser Betrieb umfassende Investitionen in Infrastruktur, eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen und eine Professionalisierung in verschiedener Hinsicht, um langfristig aufbauend und solidarisch wirtschaften zu können. Die Präsentation zu der MV am 15.07. könnt ihr euch hier ansehen. Ein grundlegender Schritt dahin ist die Änderung der Rechtsform, damit Familie Laiblin aus der alleinigen Verantwortung entlassen wird, damit sich der Solawi-Gedanke auch auf rechtlicher Ebene wiederspiegelt und damit wir unsere Möglichkeiten erweitern, Kapital für den Aufbau unserer Infrastruktur zu sammeln.

Auf der Versammlung am 23.09. wurden die 3 verschiedenen Solawi-Typen erklärt. Bisher sind wir eine Typ 1-Solawi (Betrieb schließt Einzelverträge mit AbnehmerInnen) und wollen zu einer Typ 3-Solawi werden (Ernteteiler geben sich eine Rechtsform, besitzen Betriebsmittel und stellen GärtnerInnen an).

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Da Jan und Sahra Laiblin sich schon lange aus der Einzelverantwortung heraus befreien wollen, aber niemand sonst bereit ist den Platz der/des Einzelunternehmer/s einzunehmen bleibt uns der Typ 3 übrig, das heißt eine eingetragene Genossenschaft (eG) oder ein eingetragener Verein (e.V.) als Betreiber des gärtnerischen Betriebes. Im Kernteam tendieren wir zur eG.

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Der Vollständigkeit halber sei der Typ 2 erwähnt. Dieser hat für uns keine Relevanz. Hier gibt es weiterhin einen eigenständig geführten Betrieb, mit einem Einzelunternehmer oder einer Unternehmerfamilie.

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Moment! Heißt das, dass man sich dann als Mitglied engagieren muss? Ich habe nicht so viel Zeit…

Im Prinzip ändert sich für dich nicht viel. Wieviel du dich engagierst bleibt deine freie Entscheidung. Abgesehen von der Verpflichtung deine Ernteanteil-Beiträge und je nach Ausgestaltung eine Genossenschaftseinlage zu zahlen, und einmal im Jahr zur Jahreshauptversammlung zu kommen brauchst du nichts weiter zu tun. Natürlich lebt jede Organisation vom Engagement der TeilnehmerInnen, aber wir glauben daran, dass jede/r seinen individuellen, machbaren Beitrag leistet. Aber erstmal geht’s nun weiter mit der Historie…

Woher kommt die Genossenschaft?

Entwickelt wurde der Genossenschaftsgedanke von Friedrich Wilhelm Raiffeisen im 19. Jahrhundert. Im Zuge von Hungersnot und zunehmenden wirtschaftlichen Nöten der Bauern rief Raiffeisen den „Verein zur Selbstbeschaffung von Brod und Früchten“ ins Leben. Der diente dazu, mithilfe privater Spender Mehl zu kaufen, das in einem selbst errichteten Backhaus zu Brot gebacken wurde, das auf Vorschuss an die Bedürftigen verteilt wurde. Mehrere Jahre später gründete er den Wohltätigkeitsverein in den „Heddesdorfer Darlehnskasse-Verein“ um, nachdem er erkannte, dass auf Dauer eine erfolgreiche Arbeit nur durch gemeinschaftliche Selbsthilfe wirksam sein kann. Damit gründete er die erste ländliche Genossenschaft.

Genossenschaftsprinzipien

Wie funktioniert eine Genossenschaft?

Die Genossenschaft besteht aus drei Organen: das Wichtigste ist die Generalversammlung, die ein Mal im Jahr stattfindet und zu der alle GenossInnen geladen werden. Hier wird der Vorstand (min. 2 Personen) und der Aufsichtsrat (min. 3 Personen) gewählt. Der Vorstand führt die Geschäfte der Genossenschaft, während der Aufsichtsrat diesen beaufsichtigt und berät. Jedes Mitglied hat eine Stimme in der Generalversammlung. Wer nicht erscheint, kann nicht an den Abstimmungen teilnehmen.

Aufbau einer Genossenschaft

Die Genossenschaft muss sich alle 2 Jahre einer Prüfung durch einen Genossenschafts-Prüfverband unterziehen. Dieser prüft den wirtschaftlichen Jahresabschluss (Bilanz). Außerdem hat die Genossenschaft durch den Verband Zugang zu Beratungsangeboten, Schulungen und anderem. Durch diese strenge Auflage ist die Genossenschaft die stabilste Rechtsform in Deutschland mit der geringsten Insolvenzquote.

Was bedeutet das für unsere Solawi?

In Solawi-Genossenschaften besteht der Vorstand oft aus Mitgliedern des Gärtner-Teams und gegebenenfalls aus engagierten Solawi-Mitgliedern. Der Vorstand trägt die meiste Verantwortung und hat gleichzeitig den größten Einfluss auf die Entwicklung des Solawi-Betriebes. Sinnvoll ist es, wenn Vorstände zugleich Aufgabenbereiche wie Anbau, Kommunikation, Öffentlichkeitsarbeit etc. in der Solawi abdecken. So sind Vorstände oft hauptamtlich tätig.

Beispiel KoLa-Leipzig eG

Der Aufsichtsrat arbeitet in der Regel ehrenamtlich und dient der Supervision und unterstützt den Vorstand durch seinen „Blick von Außen“. Hier wären Solawi-Mitglieder oder Nicht-Mitglieder insbesondere mit Kenntnissen der BWL, Projektmanagement, Umweltbildung, landwirtschaftliche Praxis, Kommunalpolitik, Recht, etc. hilfreich.

Und was bedeutet das für mich?

Um Mitglied der Genossenschaft zu werden zeichnet man Genossenschaftsanteile. Die Mindesthöhe und Mindestanzahl der Genossenschaftsanteile wird in der Satzung festgelegt (in der Praxis oft zwischen 50 und 250 € je eG-Anteil). Darüber hinaus können beliebig viele eG-Anteile gezeichnet werden. Auch Organisationen können Genossenschaftsanteile zeichnen.

Beispiel: In der Solawi Rote Beete eG in Leipzig muss mindestens 1 eG-Anteil à 50€ gezeichnet werden, um Mitglied der Genossenschaft werden zu können. In der Solawi Engelingshof eG in Bielefeld müssen mindestens 2 eG-Anteile à 100 € (insg. 200 €) gezeichnet werden.

Genossenschaftsanteile

Die Genossenschaftsanteile bilden das Eigenkapital der Genossenschaft, von welchem Gebäude, Maschinen, Werkzeug, Infrastruktur etc. gekauft werden können. Das eG-Kapital dient nicht der Deckung der laufenden Kosten! Diese werden weiterhin aus den Einnahmen gedeckt, die der Genossenschaftsbetrieb aus der Produktion und der Verteilung von Gemüse erhält (Ernteanteile).

Ernteanteile

Hier gibt es zwei Gestaltungsmöglichkeiten:

1. Auch Nicht-GenossInnen können Ernteanteile zeichnen.

Vorteil: geringere Beitrittsschwelle.

Nachteil: geringere Verbindlichkeit, Genossenschaftsgedanke wird verwässert (siehe Identitätsprinzip in der Präsentation).

 

Ernteanteile für alle

2. Nur GenossInnen können auch Ernteanteile zeichnen.

Vorteil: eine höhere Bindung an den gemeinsamen Betrieb, Identifikation (Wir, UNSER Betrieb), Verbindlichkeit.

Nachteil: höhere Beitrittsschwelle.

Ernteanteile nur für GenossInnen

Und wenn ich mein Geld wiederhaben möchte?

Die Genossenschaftsanteile sind gebunden, d.h. sie können erst nach einer festgelegten Mindestlaufzeit gekündigt werden. Die Genossenschaft ist vor Liquiditätsproblemen geschützt, indem zu jedem Jahresabschluss mindestens 80% des eG-Kapitals übrig sein müssen. Im Folgejahr können dann weitere Auszahlungen gemacht werden, bis wieder 80% des Kapitals übrig sind. Uns so weiter…

Beispiel: Ich möchte meine Genossenschaftsanteile nach 4 Jahren kündigen. Die eG hat eine Mindestlaufzeit von 5 Jahren vereinbart. Ich muss also bis zum Ablauf des fünften Jahres warten. Zur darauffolgenden Generalversammlung wird festgestellt, wie viel Geld zur Verfügung steht, bis noch 80% des Eigenkapitals übrig sind. Davon erhalte ich dann entweder eine vollständige oder eine anteilige Rückzahlung. Ein Jahr später genauso, und so weiter, bis ich meine Anteile vollständig zurück erhalten habe .

Und wie wird das Kapital erwirtschaftet, mit dem eG-Anteile wieder ausbezahlt werden?

Die Genossenschaft hat die Pflicht, einen Teil ihres jährlichen Überschusses in eine gesetzliche Rücklage fließen zu lassen. Dies muss so lange fortgeführt werden, bis die Summe aller Genossenschaftsanteile als Rücklage vorhanden ist.

Aber wir machen doch keine Gewinne…?

Die Solawi wirtschaftet nicht gezielt auf Gewinne, mit denen Renditen und hohe Zinsen gezahlt werden sollen, wie es auf dem freien Markt oft der Fall ist. Dennoch muss auch jede Solawi-Gärtnerei Rücklagen bilden, aus denen zum Beispiel zukünftige Investitionen und Neuanschaffungen getätigt werden können. Schließlich gehen Maschinen und Infrastruktur mit der Zeit kaputt und ein Betrieb entwickelt sich weiter. Der Unterschied ist der, dass Gewinne in einer Solawi immer in den Betrieb oder an die Menschen beispielsweise in Form von Löhnen, Beitragsanpassungen oder in Humusaufbau zurückfließen, jedoch nicht als Renditen.
Die Rücklagen sind im Jahresbudget und somit in den monatlichen Ernteanteil-Beiträgen enthalten. Die gesetzliche Rücklage ist also als ein zusätzlicher Posten im Jahresbudget einzukalkulieren.

Und wie sicher ist mein Geld?

Die Genossenschaftsanteile sind eine Einlage. Die GenossInnen werden also zu Mitunternehmern und haften (nur) mit der Höhe ihrer Einlage. Eine Nachschusspflicht besteht im Falle einer Solawi-Genossenschaft nicht. Durch die Einbettung in eine Beratungs- und Kontrollstruktur ist die Genossenschaft aber eine sehr sichere Rechtsform. Zwar gibt es auch unter Genossenschaften im Allgemeinen Insolvenzen. Diese sind aber sehr selten und betreffen bisher keine Solidarischen Landwirtschaften. Das Konzept Solawi selbst bietet zusätzliche Stabilität durch die ihm zugrunde liegende Verbindlichkeit.

Wie soll denn eine so hohe Investitionssumme durch Genossenschaftsanteile zustande kommen?

Die eG-Anteile stellen das Eigenkapital der Genossenschaft. Darüber hinaus gibt es noch die Möglichkeit, Fremdkapital in Form von Direktkrediten durch Mitglieder, Unterstützer u.a. einzuwerben. Für einige Investitionsmaßnahmen gibt es Fördermöglichkeiten. Ebenso bieten Stiftungen Förderungen für nachhaltige Projekte an. Mit dem Eigenkapital als Grundlage kann ein Kredit bei einer Bank aufgenommen werden, um das noch fehlende Kapital aufzubringen.

Beispiel: Es sollen 600.000 € in Infrastruktur und Betriebsmittel investiert werden. 100.000 € kommen als Genossenschaftanteile zusammen. Weitere 50.000 € werden als Direktkredite gewährt. 150.000 € erhalten wir als Förderungen. Für die übrigen 300.000 € wird ein Bankkredit beantragt, mit einer Laufzeit von 15 Jahren und einem effektiven Zinssatz von 4,63 %. Die Tilgung des Kredites fließt in das Jahresbudget und kostet bei 200 Ernteteilern durchschnittlich 8,93 € pro Monat und Ernteanteil.

Wie soll die Solawi denn repräsentiert sein (Selbstverständnis, Satzung), wenn nur wenige zum Treffen kommen?

Wie bei der Generalversammlung gilt: wer kommt, nimmt an den Entscheidungsprozessen teil. Wer nicht kommen kann, kann einen Vertreter schicken. Wir vertrauen darauf, dass diejenigen, die zum jeweiligen Treffen anwesend sind eine ausreichende Repräsentation der Solawi-Gemeinschaft bilden. Wir werden mit ausreichend Vorlauf einladen und die Themen jeweils vorher bekanntgeben.

Was haben wir überhaupt von der Gärtnerei zu erwarten? Das ganze Jahr ausreichend Gemüse?

Es gibt Solawis, die Lieferpausen einlegen, besonders im Winter oder Frühjahr. Dies kann zu manchen Zeiten und besonders am Anfang nötig sein. Unser Ziel ist es jedoch, eine ganzjährige Grundversorgung mit saisonalem Gemüse zu gewährleisten (52 Wochen im Jahr), so dass niemand bis auf spezielle Wünsche zusätzliches Gemüse zukaufen muss. Darauf arbeiten wir mit den anstehenden Investitionen und einer besseren Organisation und Planung hin.

Und glaubt ihr das funktioniert alles so? Hat das schon mal jemand gemacht?

Aktuell gibt es 22 Solawi-Genossenschaften in Deutschland in den verschiedensten Betriebsgrößen. Diese reichen von 80 bis 2000 Ernteanteilen. Inzwischen gibt es eine gut vernetzte Community im Solawi-Netzwerk mit tollen Beratungs- und Schulungsangeboten, die wir nutzen. Wir berufen uns auf Erfahrungen von Solawi-Genossenschaften, die schon seit bis zu 10 Jahren existieren und erfolgreich gemeinsam wirtschaften. Die Seite der Solawi-Genossenschaften lädt zum Stöbern und Informieren ein (www.solawi-genossenschaften.net).

Wie geht es jetzt weiter?

Wir werden weiterhin regelmäßige Mitgliederversammlungen im 6 bis 8-wöchigen Rhythmus abhalten, auf denen wir den aktuellen Prozess transparent machen und euch zur Partizipation einladen. Das nächste Treffen könnte sich bereits mit der Satzung unserer Genossenschaft beschäftigen.
Darüber hinaus gibt es ein Kernteam (aktuell 5 GärtnerInnen), das sich wöchentlich trifft und den Gründungsprozess sowie die weitere Betriebsentwicklung organisiert und überblickt. Des weiteren holen wir uns Feedback und Supervision aus der Solawi-Gemeinschaft zu bestimmten Themen.
Möglicherweise wird es wieder offene Arbeitskreise geben, je nach dem welche Arbeitsbereiche vom Team abgedeckt werden können und wo Unterstützung eingeladen werden soll.

Herzliche Grüße,
euer Team der Solawi Hall